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by FABIAN WINKLER


Inhalt:

I Architektur im Zeichen des Krieges 1: Albert Speer
  1. Einführung
  2. Die Nürnberger Parteitage 1934 und 1935
  3. Ausschnitte aus dem Film "Der Triumph des Willens" von Leni Riefenstahl
  4. Albert Speer, vom Architekten zum Minister

II Architektur im Zeichen des Krieges 2: Paul Virilio - Bunkerarchäologie
  1. Vorgeschichte
  2. Das geographische, politische und technische Umfeld der Bunker
  3. Die Architektur der Bunker

III Tiefgang, Bildräume im Schlossbunker

IV Schlussbetrachtung

V Zeittabelle

VI Anmerkungen




ARCHITEKTUR IM ZEICHEN DES KRIEGES

I Architektur im Zeichen des Krieges 1: Albert Speer


1. Einführung
Albert Speer wurde am 19. März 1905 in Mannheim geboren, er stammte aus einer sehr wohlhabenden Familie - sein Vater war einer der bedeutensten Mannheimer Architekten dieser Zeit. Von dem Beruf des Vaters war auch der Werdegang Albert Speers vorprogrammiert: die erste technische Faszination übten die beiden Sportwagen der Familie und der Zeppelin eines mit der Familie befreundeten Zeppelinkommandanten auf ihn aus. Nachdem Speer als bester Mathematiker des Jahrgangs die Schule abgeschlossen hatte, studierte er zunächst an der Universität Karlsruhe Architektur, danach an der TU in München und schliesslich an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg. 1928 beendete er sein Studium mit einer Diplomarbeit über die Architektur der Germanen und bekam gleich im Anschluss daran eine Assistentenstelle an der TH Berlin. Nach seiner Assistentenzeit wurde ihm vorgeschlagen, als Stadtplaner nach Afghanistan zu gehen. Speer war schon startbereit, als ein Staatsstreich der Afghanen alle Pläne zunichte machte.
Der 1.Mai 1933 markierte dann einen entscheidenden Punkt im Leben Albert Speers: das erste Grossprojekt für die NSDAP wurde bei ihm in Auftrag gegeben - ein Entwurf für die nächtliche Massenkundgebung auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Es folgte weiter ein Auftrag für den ersten Parteitag der NSDAP in Nürnberg. Beide Projekte verwirklichte Speer mit massivem Einsatz an szenographischen Elementen (riesige, durch Scheinwerfer angestrahlte Fahnen, überdimensionaler Reichsadler), die in seinen weiteren Architekturprojekten, gerade für Massenkundgebungen der NSDAP noch eine entscheidende massenpsychologische Wirkung erzielen sollten und in allerester Linie immer das eine Ziel verfolgten: den Staat und die Partei in ihrer Grösse und Macht darzustellen.
Im Winter 1933 wurde Speer dann in die engste Umgebung Hitlers aufgenommen, Hitler interessierte sich sehr für die Pläne des jungen Architekten, denn er war selbst architekturinteressiertfootnote1) (ein Interesse, das sich allerdings nur auf eine traditionelle Architekturrichtung beschränkte).
Schon im Januar 1934 wurde Speer Hitlers erster Architekt; durch den Tod von Paul Ludwig Troostfootnote2), Professor für Architektur an der TU in München, der bis dahin dieses Amt besetzte. Im selben Jahr starb der alte Reichspräsident Hindenburg, Speer war für den Rahmen der Feierlichkeiten zu Hindenburgs Begräbnis zuständig.

2. die Nürnberger Parteitage 1934 und 1935
Albert Speer wurde zum Chefdekorateur des Nürnberger Parteitags, er entwarf eine neue Tribüne für das Nürnberger Zeppelinfeld, die in ihrer Dimension schon zukünftige NS - Bauvorhaben ankündigte: mit einer Länge von 390 und einer Höhe von 24 Metern, dazu deutlich beeinflusst vom Pergamonaltar, war sie sein bisher grösstes Bauwerk. In diesem Zusammenhang entwickelte Speer auch das Konzept einer "Theorie vom Ruinenwert", die besagt, das monumentale Bauwerke, die an die "grossen" Epochen der Geschichte erinnern, selbst im Zustand des Verfalls - nach einigen hundert Jahren zum Beispiel - noch die Grösse und Macht vergangener Epochen widerspiegeln. Sämtliche repräsentative nationalsozialistische Bauwerke sollten nach dieser Richtlinie gebaut werden, was allerdings den Einsatz anderer Materialien (wie z. B. Stein anstelle von Stahl) und anderer statischer Berechnungen erforderte footnote3).
Der nächste Auftrag, den Hitler an Speer vergab, war die völlige Neugestaltung des Reichstagsgeländes in Nürnberg - bereits 1935 stand der Plan, wichtige Umbaumassnahmen durchzuführen und Neubauten auf einem Gebiet von 16,5 Quadratkilometern zu errichten. Es sollten Tribünen entstehen von 14 Metern Höhe für 160 000 Zuschauer. Die Tribünen sind wiederum unterteilt durch 24 Türme, jeder über 40 Meter hoch und eine Ehrentribüne, die von einer 60 Meter hohen weiblichen Skulptur gekrönt werden sollte (die New Yorker Freiheitsstatue hat eine Höhe von 46 Metern). Zudem war eine zwei Kilometer lange und 80 Meter breite Prachtstrasse geplant und ein grosses Stadion. Dieses hätte 400 000 Zuschauer bei einer Länge von 550 Metern und 460 Metern Breite gefasst. Damit bei der geplanten Hufeisenform des Stadions die Menge von 400 000 Zuschauern Platz finden, mussten die Stadionwände eine Mindesthöhe von 100 Metern haben. Dieser Entwurf wurde auf der Weltausstellung 1937 in Paris mit dem "Grand Prix" ausgezeichnet. Die Grundsteinlegung war am 9. September 1937, zum fünften Reichsparteitag. Nach Speers Zeitplan sollte das Projekt genau bis zum Parteitag 1945 fertiggestellt werden. Bei dieser Bauplanung traten zwei Hauptaspekte auf, die alle Bauprojekte des Dritten Reiches charakterisierten: monumental - gigantische Bauweise bei kürzest - möglichen Bauzeiten.
Zum Reichsparteitag 1935 bestellte Speer bei Hitler 130 Flakscheinwerfer - die fast den grössten Teil der strategischen Reserve ausmachten - und stellte diese im Abstand von nur zwölf Metern um das riesige Nürnberger Zeppelinfeld auf. Jeder Scheinwerfer strahlte scharf umrissen bis in eine Höhe von ungefähr acht Kilometern. Dort verschwammen alle Strahlen zu einer einzigen leuchtenden Fläche - somit wurde ein riesiger Raum geschaffen, bei dem die Strahlen der Flakscheinwerfer wie Pfeiler unendlich hoher Aussenwände wirkten. Albert Speer schrieb dazu: "Manchmal zog eine Wolke durch diesen Lichterkranz und verschaffte dem grandiosen Effekt ein Element surrealistischer Unwirklichkeit. Ich nehme an, mit diesem "Lichtdom" wurde die erste Lichtarchitektur dieser Art geschaffen und für mich bleibt es nicht nur die Schönste, sondern auch die einzige Raumschöpfung, die, auf ihre Weise die Zeit überdauert hat."footnote4)
Der britische Botschafter Sir Nevile Henderson feierte diese aussergewšhnliche Lichtskulptur mit den Worten: "Gleichzeitig feierlich und schön, als ob man sich in einer Kathedrale aus Eis befände."footnote5) Diese nur für die Nacht geschaffene Architektur stand allerdings im Gegensatz zur Auffassung Hitlers und auch Speers, dass alle repräsentativen Bauwerke auf Stabilität und Dauerhaftigkeit angelegt werden sollten (vgl. die Theorie vom Ruinenwert). Albert Speer erkannte dies und kommentierte den Widerspruch: "Im Innern dieser Lichtmauern, den ersten ihrer Art, fand nun das Ritual des Parteitages statt (...). Merkwürdig berührt mich der Gedanke, dass die gelungenste architektonische Schöpfung meines Lebens eine Chimärefootnote6) ist, eine immaterielle Erscheinung."footnote7) Paul Virilio bezeichnete den "Lichtdom" als "kristallenes Phantasieschloss, das sich beim ersten Schimmer der Morgendämmerung auflösen sollte, ohne andere materielle Spuren als Filme und einige Photographien zu hinterlassen..." footnote8).
Wichtig ist bei den überdimensionalen, szenographischen Elementen zu wissen, dass diese ihre volle Repräsentanz nicht vor den Augen jedes betroffenen handelnden Akteurs entfalteten, sondern nur vor Personen, die den Überblick über die gesamte "Aufführung" hatten. "Der einzelne angetretene Arbeitsdienstler, Soldat, NSDAP - Funktionär oder Volksgenosse konnte, zumal wenn er bei nächtlichen Zeremonien im Dunkeln verblieb, die Gesamtszenerie nicht wahrnehmen."footnote9)
Eine weitere wichtige Persönlichkeit, die für szenographische Gestaltungen im Auftrag der Nationalsozialisten verantwortlich war, war Leni Riefenstahl, die zusammen mit Albert Speer besonders für damalige Verhältnisse neue Medien wie Licht, Ton, Film, übergrosse Embleme, etc. einsetzte, um im künstlerischen Bereich die NS - Ideologie massenpsychologisch wirksam darzustellen. Entscheident war der propagandistische Einsatz von Massenmedien für die Reproduktion von Massenerlebnissen durch Fotos, Filme und vor allem durch die Wochenschauen. "In dieser Verbindung erst entwickelte die Megalomanie der Bauten, die als Ergebnis von Hitlers Grössenwahn zu begreifen nur Verharmlosung bedeutet, ihre Rationalität, die aber nur eine technische, eine Rationalität der Herrschaft darstellt."footnote10)

Ausschnitte aus dem Film " Der Triumph des Willens" von Leni Riefenstahl
Parallel zu diesem Text habe ich ein Videoband zusammengeschnitten aus Sequenzen des Films "Der Triumph des Willens" von Leni Riefenstahl. Dieser Film, der 1935 gedreht wurde, zeigt Ausschnitte des Nürnberger Parteitages von 1934. Er wurde an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe begleitend zu meinem Vortrag in der Absicht gezeigt, die im Text weiter oben genannten architektonischen und szenographischen Elemente dem Betrachter bildlich in ihrem Zusammenhang zu präsentieren. Es sollte ein Überblick über den massenpsychologisch wirksamen Einsatz von Architektur, Licht und Bühnengestaltung im Dritten Reich vermittelt werden. Auf keinen Fall verfolgte dieser Zusammenschnitt von Ausschnitten aus dem Film von Leni Riefenstahl die Absicht, propagandistisch im Sinne des Originalfilms zu wirken. Um dieses Bestreben klar im Film zu vermitteln, wurden am Anfang und in der Mitte des Filmes zwei Textstellen von Hans Sachsfootnote11) und Aeneas Silvius Piccolomini, Papst Pius IIfootnote12) eingeblendet. Beide Texte beschreiben aus Sicht der Renaissance das Bild der Stadt Nürnberg und seiner Bürger. Direkt auf diese Zitate folgen Bilder des Parteitages von 1934, der diese Aussagen in perversem Sinne umkehrend einzig und allein auf die Ideologie der NSDAP anwendet.
Wie sehr die Begeisterung der Redner auf dem Parteitag aber auch nur gespielt und bühnenreif dargeboten werden konnte und der Beifall darauf ebenfalls gezielt gesteuert war, beweist Leni Riefenstahls Film zum Parteitag 1935: bei den Dreharbeiten an einigen Originalschauplätzen waren Teile der Reden im Kongressaal mit sehr schlechter Qualität aufgenommen worden. Man beschloss, die Szenen im Atelier in Berlin nachzustellen. Speer baute Teile des Kongressaals sowie das Podium und das Rednerpult in einer der grossen Filmhallen in Berlin - Johannistal auf. Albert Speer erinnerte sich zu dem dann folgenden Ablauf wie folgt: "...im Hintergrund sah man Streicher, Rosenberg und Frank mit ihren Manuskripten auf- und abgehen, eifrig ihre Rollen memorierend. Hess kam und wurde als erster zur Aufnahme gebeten. Genau wie vor 30 000 Zuhörern des Parteikongresses erhob er feierlich die Hand. Mit dem ihm eigenen Pathos aufrichtiger Erregung begann er sich genau dorthin zu wenden, wo Hitler sich nun eben nicht befand und rief in strammer Haltung: "Mein Führer, ich begrüsse Sie im Namen des Parteikongresses. Der Kongress nimmt seinen Fortgang. Es spricht der Führer!" Er wirkte dabei so überzeugend im Ausdruck, dass ich von diesem Zeitpunkt nicht mehr so ganz von der Echtheit seiner Gefühle überzeugt war. Auch die drei anderen spielten ihren Part wirklichkeitsgetreu in die Leere der Filmhalle und erwiesen sich als begabte Darsteller. Ich war reichlich irritiert; Frau Riefenstahl dagegen fand die gestellten Aufnahmen besser als die der originalen Darbietung."footnote13)

4. Albert Speer, vom Architekten zum Minister

"Der Baumeister ist zum Zerstörer geworden"

Paul Virilio

Im Januar 1937 wurde Albert Speer zum Generalbauinspektor für die Neugestaltung der Reichshauptstadt berufen. Seine Aufgabe bestand ab jetzt in der grössten Bauaufgabe des Reiches: der kompletten Umgestaltung des Stadtzentrums von Berlin. Die hier aufgeführten einzelnen Bauprojekte sind Teile des Gesamtkonzeptes und sollen eine Grössenordnung davon vermitteln.
Durch die Berliner Stadtmitte legte Albert Speer eine fünf Kilometer lange und 120 Meter breite Prachtstrasse; an einem Ende der Strasse war ein Triumphbogen von 120 Meter Höhe geplant (der Arc de Triomphe ist 50 Meter hoch). Auf die Front und die Rückseite des Bogens sollten alle Namen der 1,8 Millionen deutschen Gefallenen des Ersten Weltkrieges eingemeisselt werden. Am anderen Strassenende, nahe dem Reichstag entwarf Speer eine Kuppelhalle, mit einer 250 Meter breiten und 290 Meter hohen Kuppel. Diese Halle wäre die grösste Versammlungshalle der Welt geworden, mit Platz für 150 000 Zuschauer - hier zeigt sich aber auch schon ein Problem der "gebauten Megalomanie"footnote14): in der Mitte dieser riesenhaften Halle sollte ein Platz für Hitler architektonisch herausgehoben werden - Speer verzweifelte an der masslos gewordenen Architektur, denn was er auch machte: Hitler verschwand jedesmal in dem riesigen Bauwerk zu einem optischen Nichts. Gekrönt werden sollte die Halle von einem Adler, unter dessen Krallen sich die Weltkugel befand - Ausdruck des Expansionsgedankens Hitlers, eine emblematische Vorwegnahme der diktatorischen Ereignisse, die ab 1939 die Welt in Angst und Schrecken versetzen.
An diesem Ende der Prachtstrasse war auch der neue Berliner Südbahnhof geplant, wie alle anderen Bauwerke des Dritten Reiches musste er grösser sein als sein Vorbild: der New Yorker Grand Central Terminal. Der 1000 Meter lange und 33 Meter breite Bahnhofsvorplatz sollte umsäumt sein von Beutewaffen vergangener Kriege.
Auf der anderen Seite der Kuppelhalle entwarf Speer den Wohnpalast Hitlers mit dem Adolf-Hitler-Platz davor. Auf ihm sollten eine Millionen Menschen Platz finden. Alle Gebäude am Adolf-Hitler-Platz hätten jedoch die Möglichkeit besessen, in Notfällen schwere eiserne Gitter mit Schiesscharten vor die Fenster zu schieben. Schon zu diesem Zeitpunkt fürchtete man Massenaufläufe und Unruhen. Das Zentrum des Reiches hatte schon von Beginn an Festungscharakter. Natürlich wollte Göring auch einen Prachtbau, der Hitlers Wohnpalast in nichts nachzustehen hatte: Speer plante das "Reichsmarschallamt" - mit dem grössten Treppenhaus der Welt und einem Dachgarten von 12 000 Quadratmetern Fläche. In 40 Metern Höhe sollten vier Meter Erdreich aufgeschüttet werden, so dass auch Bäume und Sträucher im Garten angepflanzt werden konnten. Ausserdem wären Tennisanlagen und ein Sommertheater in dem Dachgarten des Reichsmarschallamts zu finden gewesen. Das gesamte Berliner Bauprojekt sollte bis zum Jahr 1950 fertiggestellt werden; es war aber in der Planungsphase streng geheim. In dieser Zeit reiste Speer mit Freunden nach Griechenland, dort fand er Bestätigung für seine megalomanische Bauweise. So rechtfertigte er dann seine Pläne: "Beim Anblick der Tempelbauten von Selinunt und Agrigent stellte ich erneut und nicht ohne innere Befriedigung fest: auch die Antike war nicht frei von megalomanischen Anwandlungen (...). Gegenüber diesen Tempelbauten verblassten alle Zeugnisse der sarazenisch - normannischen Baukunst."footnote15) In der Realität allerdings wurde die Monumentalbauweise in höchstem Grade langweilig und redundant: unter Hitler boomte nur diese eine Architekturform, die von eklezistischenfootnote16) Elementen geprägt war und nichts eigenes hervorbrachte. Zudem musste fortan jede grössere Stadt im Deutschen Reich nach dem Berliner Schema ein Achsenkreuz besitzen, an dem zentrale Bauten ausgerichtet wurden. Die 1939 vor dem Krieg zuletzt entworfenen Gebäude gehörten fast ausnahmslos zur Stilrichtung des Neoempires. In ihnen war der Sturz und Verfall des Reiches schon genauso impliziert, wie 125 Jahre zuvor die Überladenheit, Vergoldungssucht und Prunkliebe Napoleons den Niedergang des Stils des Empires antizipiert hat.
Nach Kriegsausbruch bildete Albert Speer freiwillig eine technische Einsatztruppe, die sich für den Wiederaufbau von Strassen, Brücken und infrastrukturell wichtigen Transportwegen verantwortlich zeigte. Hitler verbot diese Eigeninitiative Speers und forderte die sofortige Wiederaufnahme der Arbeit an allen Bauprojekten des Reiches. Erst 1941 wurde Speer offiziell an der Kriegsproduktion beteiligt, "zu diesem Zeitpunkt war ich Stolz darauf, einen kleinen Beitrag zum Kriegsverlauf leisten zu können"footnote17). In acht Monaten stellte Speer drei Riesenfabriken in Brün, Graz und Wien für die Ju88, einen grossen zweimotorigen StuKa - Bomber der Junkers - Werke fertig. Zudem war er mit dem Bau von Luftschutzbunkern und der Reparierung von Bombenschäden in Berlin beschäftigt. Im Februar starb Dr. Fritz Todt, Leiter der Organisation Todt (OT), die für den Bau der Bunkeranlagen des Atlantikwalls verantwortlich war. Sein Flugzeug war aus unerklärlichen Gründen auf dem Weg nach Berlin abgestürzt. Albert Speer profitierte zum zweitenmal in seiner Karriere vom Tod seines Vorgängers (nach dem Tod von Ludwig Paul v. Troost 1934); er wurde von Hitler zum Nachfolger von Todt benannt, "in allen seinen Ämtern". Als "Reichsminister für Bewaffnung und Munition" von 1942 bis 1943 sowie als "Minister für Rüstung und Kriegserzeugung" von 1943 bis 1945 standen für Albert Speer besonders die Optimierung der Arbeitsprozesse und Aspekte der Effizienz im Vordergrund - dabei scheute er auch nicht vor dem Einsatz Tausender von Zwangsarbeitern in den sogenannten "Mittelwerken", unterirdischen Tunnelsystemen, in denen an den "Wunderwaffen" V1 und V2 sowie anderen Rüstungsprojekten gearbeitet wurde. Er unterstützte ausserdem massiv das Prinzip der "Ostkolonisation" footnote18). Und er wurde sogar noch vor Goebbels der "Promoter des totalen Krieges"footnote19), eines Krieges, dessen Katastrophe besonders durch technische Weiterentwicklung und insbesondere durch die Entwicklung der Kommunikationstechniken begünstigt warfootnote20), der nach der unheilvollen Sportpalastrede Goebbels am 18. Februar 1943 noch nie gekannte Ausmasse annehmen sollte und der die Architektur hervorbrachte, die der zweite Teil des Referates behandelt: die Architektur der Kriegsbunker.


II Architektur im Zeichen des Krieges 2: Paul Virilio - Bunkerarchäologie


"Er (Albert Speer) wird in der Zwischenzeit vom Norden Norwegens bis in den Süden Frankreichs von der Organisation Todt die zahllosen Bunker bauen lassen, die Symbole der Schwäche des Nazistaates. Diese kryptische Architektur wird bald als Anhaltspunkt für die Entwicklung des nazistischen Raumes dienen."
Paul Virilio

1. Vorgeschichte
Als Paul Virilio 1958 am Atlantik Badeurlaub machte, wurde er zum ersten Mal aufmerksam auf die Bunkeranlagen des Atlantikwalls. Sofort stellte sich bei ihm der Konflikt ein zwischen dem Badesommer 1958 und den Sommern der Schlachten im Zweiten Weltkrieg am selben Ort. Um aber die Bunker bewusst wahrzunehmen, nicht in ihrer heute angewandten Funktion z. B. als Umkleidekabine für Badegäste oder als Unterkunft für Landstreicher, musste man sie betrachten, als sähe man sie zum ersten Mal, d. h. man muss eine neue Methode des Sehens auf sie anwendenfootnote21). Schnell wurde Virilio die Parallelität zwischen den Bunkern und ihren kulturellen und architektonischen Äquivalenten wie z. B. altägyptische und etruskische Gräberfootnote22) sowie den Bauten der Atzteken klar: jede dieser Architekturen ist stark auf den Ritus der Bestattung ausgelegt. Es stellt sich daher die Frage, warum es die Analogie zwischen dem Archetypen der Totenbestattung und militärischer Architektur gibt. Für Virilio spiegelte sich im Bunker exemplarisch "das zugleich innere wie äussere Gefühl von Vernichtung." footnote23) So muss das Innere eines Bunkers auch dementsprechend auf seine Insassen gewirkt haben: durch die Schwere der Mauern wie paralysiert und in ihrer Bewegung eingeschränkt, befanden sie sich schon in einem der Leichenstarre vergleichbaren Zustand, einem Zustand des Todes, vor dem der Bunker mit seinen Schutzvorrichtungen sie eigentlich bewahren sollte.footnote24) Von aussen wurde der Zustand der Starre und Gedrungenheit durch einige, für jeden Bunker charakteristische Merkmale verstärkt: überall befinden sich dicke Betoneinfassungen, auf der Bunkerrückseite ist der Eingang mit einer gepanzerten Türe und einem luftdicht abgeriegelten Kasten, ähnlich einer Schleuse dahinter. Den Mittelpunkt des Bunkers bildet die Schiesscharte in der Bunkervorderseite, der einzigen Seite, die geöffnet ist; die seitlichen Mauern sowie die Rückseite sind bis auf die Türe mit blendenähnlichen Verschalungen geschlossen. Auf der Bunkeroberseite erkennt man Gasablassrohre für die Artillerie und meistens auch eine Schale bzw. Luke für die Beobachter. Mit diesen Merkmalen fällt ein Vergleich des Bunkers mit Archetypen wie Krypta, Arche oder Schiff (vgl. den Einsteinturm von Erich Mendelsohnfootnote25) ) nicht schwer. Das Verhalten der Bevölkerung gegenüber den Bunkern des Atlantikwalls war jedoch geprägt von Furcht und unangenehmen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Zu stark symbolisierten diese Bauwerke Leiden, Schmerz und zudem Untaten der feindlichen Besatzungsmacht. Oft bestand der Drang, diese Architektur zu vernichten, viele Bunker wurden deshalb schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges zerstört, mit gefundener Munition vollgestopft und gesprengt.

2. Das geographische, politische und technische Umfeld der Bunker
Die gesamte Festungsanlage des Atlantikwalls befindet sich am Meer, für Paul Virilio das "hydrostatische Element", ein freier unbebauter und unbebaubarer Raum, der im krassen Gegensatz steht zum Festland. Die Küstenlinie bildet somit eine Schnittstelle oder Interface zwischen diesen beiden Elementen. Hierin lag auch das Scheitern der "Festung Europa", wie die Bunkeranlagen von Virilio auch genannt werden: die NS - Ideologie beschränkte sich immer nur auf das eine Element, den Boden (vgl. "Blut und Boden"), die "Lithosphäre" nach Virilio; Luft und Wasser ("Atmosphäre und Hydrosphäre") aber blieben dem gesamten Streben Hitlers fremd. Die Philosophie der Nationalsozialisten war immer verbunden mit dem Boden (Lebensraum, etc.), daraus resultierte letztendlich auch ihr Einsatz der Streitkräfte: die Bodenstreitkräfte (Artillerie und Infanterie) wurden zum Leidwesen der Luft- und Seestreitkräfte privilegiert. Mit den Bunkeranlagen des Atlantikwalls stiessen die Bodentruppen an ihre Grenzen, vor ihnen lag nur noch das Meer, der unbesiedelbare Raum. Der für Menschen besiedelbare Raum der Welt wurde durch leistungsfähigere und beweglichere Vehikel (Düsenjets und Transporter) zu dieser Zeit immer kleiner, eine Entwicklung wurde eingeleitet, die durch eine ständige Steigerung der Geschwindigkeit es ermöglichte, dass es keine Unterscheidung mehr gab zwischen Projektil und Vehikel (vgl. Überschallflugzeuge). Zudem ist feststellbar, dass sich vom 18. Jahrhundert bis heute die Dauer der Kriegszeit ständig verringert hat und bald gegen Null strebt: Ziel eines modernen Krieges ist der schnelle und vollständige Erfolg über den Gegner. Heute können militärische Auseinandersetzungen bereits nur wenige Stunden dauern. General Beauffre sagte dazu: "Nach drei Stunden Atomkrieg stösst man ins Unbekannte vor."footnote26) Die beste Panzerung gegen jedwede Waffe bietet heute nur noch der Rückzug ins Erdinnere (z. B. liegt der Gefechtsstand der amerikanischen Armee 80 bis 1000 Meter unter den Rocky Mountains), bei einer gleichzeitigen Verbesserung der technischen militärischen Ausrüstungsgegenstände, so dass diese gegen verschiedenste elektromagnetische Impulse unempfindlich gemacht werden (der Raum des Krieges wird ins mikrophysikalische Umfeld der elektromagnetischen Strahlen und Wellen verschoben). Es entstehen heute "Kommunikationswaffen"footnote27), elektromagnetische Geräte, die in der Lage sind, den Feind zu täuschen und gleichzeitig eigene Geschosse in ihre Ziele zu lenken.
Letztendlich läuft diese Entwicklung darauf hinaus, dass es nur noch den Krieg im Frieden gibt, da der militärisch - technische Apparat in westlichen Zivilisationen darauf programmiert ist, immer höher entwickeltere technologische Mittel zu entwerfen, daraus folgt schliesslich der "nicht endende technologische Kampf der Friedenszeit."footnote28)
Gehen wir aber zurück in die Zeit der Erbauung des Atlantikwalls und schauen uns das technische Umfeld an, in dem diese Befestigungsanlage entstanden ist: bereits damals gab es die ersten Erd- und Luftroboter (z. B. den ferngesteuerten Panzer "Goliath"), die ersten Raketen wurden entworfen, mit der Fähigkeit in die obersten Schichten der Atmosphäre vorzudringen (V2 - Rakete). Durch die Entwicklung von Scheinwerfern bekam der Krieg nun auch eine neue zeitliche Dimension: selbst bei Nacht waren Kampfeshandlungen möglich. Die ersten Radaranlagen und akustischen Detektoren verminderten immer mehr die Gefahr eines Überraschungsangriffes des Gegners, Funksignale übertrugen Befehle "live" in Echtzeit, zudem kam die Erfindung eines neuen Ortungsverfahrens über Infrarot - der Krieg wurde dadurch vorhersehbar und zentral steuerbar; in dieser Zeit lagen "die Anfänge des elektronischen Krieges"footnote29); er ermöglicht zusätzlich zur horizontalen Zerstörung auch eine vertikale, der Raum ist homogenesiert, alles ist der Zerstörung gleichermassen ausgesetzt. So lauten die Thesen Virilios, der daraufhin die Topographie der Bunker analysierte.

3. Die Architektur der Bunker

Die Befestigungsanlagen des Atlantikwalls ziehen sich vom Süden Frankreichs bis in den Norden Norwegens, ihr Leitmotiv ist Undurchlässigkeit. Die Prioritäten im Aufbau des Atlantikwalls waren klar gesetzt: Norwegen hatte oberste Priorität, da die Deutschen Angst vor einem Einfall der Alliierten über Norwegen hatten - die Erzlager in Schweden wären damit in Gefahr gewesen und ein alliierter Vorstoss nach Deutschland hätte leicht erfolgen können. Die Bunkerkette reihte sich in ihrer räumlichen Ausdehnung ein in eine Geschichte der architektonischen Grenzlinien, die vom römischen Limes bis zur chinesischen Mauer reicht. Jeder Bunker hat die gleiche Struktur, er ist ein monolithisches Bauwerk, besitzt also kein Fundament, da der Schwerpunkt so gesetzt ist, dass er dieses ersetzt. Im Zeitalter des U - Bootes und der unterirdischen Kommandozentrale erinnern deshalb manche Bunker selbst in Friedenszeiten an gestrandete U - Boot Wracks. Bereits im Zweiten Weltkrieg wurden Waffen eingesetzt, die ein künstliches, für den Menschen feindliches Klima schaffen konnten (Atombombe, C - Waffen). Von diesem Zeitpunkt richtete sich auch die moderne Militärarchitektur daran, und entsprach von nun an ausschliesslich den Kriterien der Künstlichkeit. Der neue militärische Raum spiegelte sich in den Bunkern wieder: ein beschränktes, kleines Volumen, abgerundete Ecken und Winkel, Schiesscharten, eine kleine Türe und Mauern. Durch diese architektonischen Massnahmen sollte der Bunker allerdings nicht für die Ewigkeit gebaut sein und Jahrhunderte überstehen, sondern er war nur für den Moment gebaut, in dem er angegriffen wurde und zu dem Zweck, diesem Angriff standzuhalten. Der Krieg beeinflusste die Bunkerarchitektur zudem schon alleine aus praktischen Gründen: die Mauern mussten dicker werden, sie sollten nicht nur vor Naturgewalten schützen, sondern sie mussten darüberhinaus auch Kugeln und Geschossen standhalten. Der Krieg schaffte somit eine zweite, lebensfeindliche Atmosphäre. Die natürlichen Gegebenheiten wurden übersteigert (Hitze der Atombombe, Gewalt einer Bombendetonation) - daraus resultierten dickere Schutzvorrichtungen als sie die Natur bot: man benötigte eine nach den Kriterien der Künstlichkeit errichtete Architektur. Der Bunker ist aus einem Guss gefertigt, man erkennt keine Nahtstellen mehr. Durch seine abgerundeten Formen passt er sich besser der Landschaft an, Projektile werden durch sie seitlich abgelenkt, ausserdem wirft Sonnenlicht keine Schatten auf die Konturen des Bunkers und seine Umrisse. Um diese allgemeinen Betrachtungen über die Bunker abzuschliessen und unter Berücksichtigung des ersten Kapitels über die Architektur Albert Speers ist es wichtig zu wissen, dass die Bunkeranlagen im Zweiten Weltkrieg nicht wie die offizielle Architektur des NS - Regimes der Ausdruck einer neoklassizistischen Ästhetik sind, sondern ein Resultat aus der Entwicklung von Waffen und Panzerungen (es gibt keine nationale Bunkerarchitektur, die nur auf ein Land beschränkt bleibt und dafür charakteristisch ist). Um nun die Bunker des Atlantikwalls zu unterscheiden, teilte Paul Virilio die Bauwerke in fünf Klassenfootnote30) auf:
a.) Schiesskampfstände mit Schiesschartenund
b.) Schiesskampfstände mit gepanzerter Glocke
Die Bunker dieser beiden Kategorien gehörten entweder einer Küstenbatterie (militärische Einheit ähnlich einer Kompanie) mit grosser Reichweite oder einer leichten Artilleriebatterie mit mittlerer Reichweite an. Ihre Bewaffnung richtete sich nach dem Standort (Strand, Felsenküste, Insel) und wurde aus dem Fundus besiegter Armeen gestellt, war also keineswegs einheitlich. Diese Tatsache wirkte zurück auf die Innengestaltung, die dadurch recht unterschiedlich ausfiel. Bei den Schiesskampfständen mit Schiesscharte findet man oft die sogenannte "Todt Front"footnote31), einen kleinen vorspringenden Sockel, der sich über der Schiesscharte befindet und der dem Trichtereffekt an der Schiesscharte von aussen entgegenwirken sollte. 1944 entwickelte General Habicht den Prototypen eines mobilen Bunkers, der versuchsweise für die schwere Artillerie (über 155 mm) konzipiert warfootnote32). Der Geschützturm drehte sich auf dem Magazinbunker (durch zwei Männer entweder von Hand oder elektrisch bewegt) und bot somit ein grösseres Schussfeld. Nach dem Schuss zeigte der Bunker mit seiner Rückseite in Schussrichtung. Der einzige Nachteil dieses Prototypen war jedoch, dass ein Treffer direkt in die Laufrollen des Geschützturms den Bunker völlig bewegungsunfähig machte. Mit den Bunkern der ersten und zweiten Kategorie bekämpfte man anlandende Feinde oder die Infanterie. Manche dieser Bauten zeigen auch eine reliefartige Bearbeitung der Oberfläche auf.Dadurch konnte das Schimmern des Betons von der Luftwaffe nicht mehr so gut ausgemacht werden. Viele dieser Bunker gehören allerdings schon zur der nun folgenden Kategorie:
c.) Luftkampfstände mit Schutzräumen
Alle diese Bunker haben Einsenkungen, d.h. sie wurden nur für die Luftabwehr ohne Dachplatten ausgestattet und konzipiert. Die Mannschaften und die Munition befanden sich noch unter dem eigentlichen Bunker.
d.) Beobachtungsstände mit gepanzerter Glocke (zugleich Befehls- und Feuerleitstellen)
Bei diesen Bunkertypen ist ein durchgehender Schlitz unter dem Betondach zu erkennen, er dient der Kontrolle der unmittelbaren Umgebung. Die erste Betondeckplatte des Daches schützte den Telemeter für die Datenübertragung, die zweite Platte schützte die Leitstelle und die dritte das Kommando des Umkreises der Einheit bzw. Batterie. Eine Besonderheit in dieser Gruppe bilden die Gefechtsleittürme (vgl. dazu footnote25)).Sie befinden sich meist auf vorgelagerten Inseln oder hinter den Batteriebunkern. Von ihnen aus wurde das Feuergefecht der Küstenbatterie beobachtet und geleitet.
e.) Passive Bunker für Mannschaftsunterkünfte, Munition, Küchen, Stromerzeugung
Diese liegen meist in einiger Entfernung hinter den eigentlichen Batteriebunkern an geschützten Stellen.
Alle diese Bunkertypen wurden hauptsächlich aus Beton gegossen, Stahl war als Rohstoff zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges knapp, so dass auf Stahlträger, Stahlpanzerungen, etc. weitestgehend verzichtet werden musstefootnote33). Jeder Bunker war entweder für eine Person oder mehrere konzipiert, wobei Bunker, die nur Platz für eine Person hatten, nur zu dem Zweck gebaut wurden, als Beobachtungsstand und Wachhaus zu dienen. Die Front jedes Bunkers zum Meer hin war vermient und zusätzlich gegen Landungsboote mit Tetraedern und Stacheldraht geschützt. Zu den oben genannten fünf Kategorien kann noch die Festung oder Hafenfestung als zusätzlicher Bunkertyp gezählt werden. Sie besteht meistens aus U - Boot Bunkern, die mit bis zu sieben Meter dicken Betondecken Schutz vor fast jeder Art von Angriff bieten sollten. Bei diesen Hafenfestungen befanden sich Luftschutzräume für die Bevölkerung - einige dieser Bauwerke hatten ein sogenanntes aerostatisches Profil, (der Bunker nimmt dabei die Form des Projektils wieder in seinem äusseren Erscheinungsbild auf) das Bomben umleiten und somit deren direkten Einschlag verhindern sollte.


III Tiefgang, Bildräume im Schlossbunker

footnote34)
Wie man heute mit den architektonischen Überresten des Zweiten Weltkrieges umgehen kann, zeigte die Ausstellung "Tiefgang, Bildräume im Schlossbunker" von Roland Scotti und Jan Winkelmann (Ausstellungskuratoren). Der Tiefbunker unter dem Ehrenhof des kurfürstlichen Residenzschlosses in Mannheim, den schon fast kein Mannheimer Bürger mehr aus eigener Anschauung kannte, wurde 1992 für die Dauer von zwei Monaten zum Ausstellungsort für die Arbeiten von 40 Künstlerinnen und Künstlern, die von 13 Kunsthistorikern ausgewählt wurden. Der Bunker ist für Jan Winkelmann und Roland Scotti ein Bauwerk, das von jeder kulturellen Bindung unbelastet ist und somit ein neutraler Ort für eine Kunstausstellung, da in dieser Umgebung die künstlerische Arbeit nur für sich wirken kannfootnote35). Der Bunker nimmt eine konträre Stellung zum Schloss ein: zeigt die barocke Schlossarchitektur eindeutig den Hang zur Selbstdarstellung und Macht, so diente der Tiefbunker darunter im Zweiten Weltkrieg fast ausschliesslich als Zufluchtsort der Mannheimer Bevölkerung vor Bombenangriffen - aber auch als Schutzraum für alte Kunstwerke des Schlosses, das während des Krieges fast gänzlich den Bombardements zum Opfer fiel. Im Vordergrund der Ausstellungskonzeption stand die Kombination der Räume des Schlossbunkers (die im Bewusstsein der Bevölkerung fast ausgelöscht sind) mit den Arbeiten der Künstler, die ebenfalls einem weiten Zuschauerkreis noch nicht ohne weiteres bekannt sind, zu dem Zweck, durch diesen Zusammenschluss beide Aspekte der Öffentlichkeit vorzustellen und ins Bewusstsein zu rufen. Der Tiefbunker unter dem Ehrenhof des kurfürstlichen Residenzschlosses in Mannheim besteht aus 63 unterschiedlich grossen Räumen, die man jeweils rechts und links von vier parallelen Gängen aus betritt. Diese Struktur eignete sich hervorragend zur Schaffung unabhängiger Kunst - Kabinen, in denen die jeweiligen Arbeiten für sich wirken konnten, die aber unter dem Oberbegriff des Bunkers wieder zu einer Einheit zusammengeführt wurden. Jeder Raum beherbergte ein Kunstwerk, eine direkte Gegenüberstellung von Kunstwerk und Betrachter war gewährleistet. Allen künstlerischen Arbeiten der Ausstellung war trotz der Vielfalt eines gemeinsam: das Nachdenken über die ganz speziellen, den unterirdischen fast sogar kryptischen Raum definierenden Eigenschaften wie Enge, Dunkelheit, Kälte, Künstlichkeit, Schwere, Einfachheit oder auch die besondere Farbigkeit der Wändefootnote36).
Einige Arbeiten orientierten sich direkt an diesen, vom Raum gegebenen Vorlagen; die spezielle Aura des Gewölbes oder das viereckige Raummuster wurde genutzt. Die Arbeit "Wieviel Grad hat Blau" von Wolfgang Stiller besteht aus einer, genau auf die Proportionen des zellenartigen Kellerraumes abgestimmten Installation, die einer Laborsituation sehr ähnelt. Beeinflussungen durch den Materialbegriff von Duchamp bis Beuys sind erkenntlich, ebenso wie Verweise des Titels, der Farbe Blau, auf ihre kunsthistorische Symbolkraft (IKB; die blauen Monochromien Yves Kleins, blauer Madonnenmantel, etc.). Letztlich wird hier ein Bogen gespannt von den recht primitiven wissenschaftlichen Apparaturen (die auch im Labor eines Alchemisten des Mittelalters hätten stehen können) zum räumlichen Umfeld - dem Bunker als Symbol eines hochtechnischen Krieges.
Andere Arbeiten ignorierten die Präsenz der Zelle, sie wurde nur noch in den Dienst der Bildwirkung gestellt, etwa als Projektionsfläche wie in Andreas M. Kaufmanns Rauminstallation "Eine kleine Kunstgeschichtsmaschine". Die Installation besteht aus einem Diaprojektor, der langsam um sich selbst kreisend den Finger Gottes (aus Michelangelos Deckengemälde "Die Erschaffung Adams" in der sixtinischen Kapelle) auf die Schutzraumwände projezierte. Dieser "tastete" sozusagenden den Raum und dessen Strukturen ab, wurde an einer Wand unscharf, verschwamm gänzlich, um am Ende wieder auf der ersten Wandfläche scharf abgebildet zu werden.
Eine andere Methode, mit den Räumlichkeiten des Tiefbunkers umzugehen, bestand für einige Künstler darin, ihre Arbeiten kaum sichtbar in die Räume einzufügen. Diese Werke machten sich das Unfertige und Zerfallende des Raumes zunutze und werden dadurch fast unsichtbarfootnote37). Dazu kann man die Videoinstallation "Hi & Goodbye" des Medienkünstlers Norbert Meissner zählen, die den Raum fast unberührt liess und nur an einer Wandseite zwei Fenster öffnete; die Arbeit wurde erst bemerkt, wenn sich der Besucher im Raum befand, ein schneller Blick durch die Tür reichte hier nicht aus.
Die wohl extremste Position innerhalb der Ausstellung wurde von Norbert Kottmann vertreten - er stellte kein Kunstwerk im herkömmlichen Sinn aus, sein Beitrag bestand in der ständigen Präsenz während der Ausstellung in der Funktion des Hausmeisters; für zwei Monate zog Kottmann von Düsseldorf nach Mannheim, um in der bedrückenden Raumsituation des Bunkers zu wohnen, mitzuhelfen beim Ausstellungsauf- und Abbau oder um organisatorische Aufgaben zu übernehmen. Er handelte nach der Maxime "Pflicht ist Freude" und zeigt somit demonstrativ eine Handlung mit modellhaftem Charakterfootnote38), hier stellt sich auch die Frage, ob er damit nationalsozialistische Parolen wie "Kraft durch Freude" (KdF) umgedeutet und kritisch persifliert hat.


IV Schlussbetrachtung


In geographischer Sicht hat sich der Bogen dieser Ausarbeitung schon geschlossen: in Albert Speers Geburtsstadt endet dieser Text mit einer Betrachtung der Ausstellung "Tiefgang, Bildräume im Schlossbunker" im Jahr 1992. Inhaltlich wurde eine Entwicklung aufgezeigt, die 1933 einsetzte mit Albert Speers erstem Bauprojekt für Hitler, die sich über die Reichsparteitage fortsetzte und 1937 in den Entwürfen einer offensiven, die Weltherrschaft verkörpernden Architektur auf masslose Art und Weise kulminierte; zu diesem Zeitpunkt aber (so wie in einem klassischen Drama) schon ihre Zerstörung und ihren Niedergang implizierte und in trauriger Weise im Zweiten Weltkrieg und in den Befestigungsanlagen ganz Europas (der Atlantikwall wurde hier als bekanntestes Beispiel angeführt) resultierte. Die Kunst machte es möglich, dieses Trauma zumindest symbolisch zu überwinden und in einem synergetischen Effekt (wie durch eine Kartharsis) Impulse sowohl für ein Stück Vergangenheitsbewältigung zu schaffen, als auch das Bewusstsein für die Kunst zu schärfen, was gleichbedeutend ist mit einer Schärfung der Wahrnehmung.


V Zeitleiste


1720 - 60
Erbauung des kurfürstlichen Residenzschlosses in Mannheim
1905
Albert Speer wird in Mannheim geboren.
1925
Neugründung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei durch Adolf Hitler.
1928
Albert Speer beendet sein Architekturstudium an der TH in Berlin und bekommt dort eine Assistentenstelle.
1930
Der Bau der Maginot - Linie an der französischen Ostküste wird begonnen.
1933
Hitler wird neuer deutscher Reichskanzler.
Speer wird mit der architektonischen Gestaltung des Parteitages in Nürnberg beauftragt.
1934
Hitler wird nach dem Tode Hindenburgs "Führer (ehemals Amt des Reichspräsidenten) und Reichskanzler".
Tod von Paul Ludwig Troost, Hitlers erstem Architekten, von nun an ist Albert Speer Hitlers Architekt Nr.1.
1935
2. Parteitag in Nürnberg, "Lichterdom" von Albert Speer.
Speer entwirft einen Plan für die Neugestaltung des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg.
Leni Riefenstahl dreht den Film "Der Triumph des Willens", eine Dokumentation des Parteitages von 1934.
1936
Baubeginn am Westwall (Befestigungsanlage an der deutschen Westgrenze zwischen Aachen und der schweizer Grenze).
1937
Weltausstellung in Paris: der deutsche Pavillon wurde von Albert Speer entworfen.
Speer wird zum "Generalbauinspektor für die Neugestaltung der Reichshauptstadt".
1938
Gründung der Organisation Todt, Fritz Todt wird zum "Generalbevollmächtigten für die Regelung der Bauwirtschaft".
Baubeginn an der neuen Reichskanzlei für Hitler, Fertigstellung des Baus 1939 in Rekordzeit.
1939
Deutscher Angriff auf Polen und Annexion Polens.
Installation von Radaranlagen an den englischen Küsten.
1940
Annexion von Dänemark.
Deutschland besetzt Frankreich durch Umgehung der Maginot - Linie.
Installation erster deutscher Radaranlagen am Pas - de - Calais.
Schlacht um England (Operation "Seelöwe") - Angriff deutscher Kampfflieger und Bomber, Einsatz von weitreichender Artillerie von Nordfrankreich aus.
Bau deutscher U-Boot - Bunker und - Hafenanlagen.
1941
Fritz Todt wird "Generalinspekteur für Wasser und Energie". Von nun an wird jede strategische Baustelle in Europa von der Organisation Todt geleitet.
Unternehmen "Barbarossa": Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion; Abwendung von der Westfront zur Ostfront, die aber schon im Winter zum Stillstand kommt.
Angriff Japans auf Pearl Harbour.
Kriegserklärung Hitlers an Amerika.
Gegen Ende des Jahres sind die Befestigungsanlagen des Atlantikwalls fertiggestellt.
1942
Tod von Fritz Todt, Albert Speer wird sein Nachfolger und bis 1943 "Reichsminister für Bewaffnung und Munition".
Erster Angriff der Alliierten auf die Festlandküste. Das Eingreifen am Atlantikwall wird klar geregelt: alles, was auf dem Meer passiert, ist Aufgabe der Kriegsmarine, die Wehrmacht greift erst bei Landungen ein.
Speer fördert die Entwicklung einer neuen Wunderwaffe, unter den Physikern dieses Projektes befinden sich Otto Hahn und Werner Heisenberg.
Speer ordnet an, alle Bauvorhaben aus Kriegsgründen bis auf weiteres einzustellen, Hitler umgeht dieses Bauverbot mit seinen privaten Bauvorhaben.
Perfektionierung des elektronischen Krieges: Nachtjagdgeschwader können über Funk gegen alliierte Bombenangriffe gesteuert werden (Installation der "Kammhuber Linie").
1943
Niederlage der deutschen Armee im Januar in Stalingrad.
Roosevelt fordert auf der Konferenz in Casablanca "unconditional surrender" von Deutschland.
Goebbels Sportpalastrede.
Albert Speer wird zum "Minister für Rüstung und Kriegserzeugung", Einsatz von Tausenden von Zwangsarbeitern.
Errichtung eines "Südwalls" am Mittelmeer, er gleicht dem Atlantikwall.
Bombardierung des deutschen Raumforschungszentrums in Peenemünde.
Bau des Schlossbunkers unter dem Ehrenhof des kurfürstlichen Residenzschlosses in Mannheim.
1944
Marschall Rommel wird Inspekteur der Festungsanlagen des Atlantikwalls.
"D - Day", Landung der Alliierten in der Normandie im Juni.
Attentat auf Hitler, Speer wird zu unrecht verdächtigt, zu den Mittätern gehört zu haben, somit wird Joseph Goebbels "Generalbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz".
Erste Abschüsse von V1 und V2 Raketen.
1945
Im Mai: Ende des Zweiten Weltkriegs.
Im Oktober wird Albert Speer zusammen mit anderen führenden NS - Grössen verhaftet.
Beginn des Nürnberger Prozesses.
1946
Urteilsverkündung im Nürnberger Prozess: 6 Todesurteile, Albert Speer wird zu 20 Jahren Haft verurteilt.
1950
Geplanter Fertigstellungstermin der neuen Reichshauptstadt Berlin nach den Plänen Albert Speers.
1958
Paul Virilio beginnt mit den Arbeiten an der Bunkerarchäologie.
1966
Entlassung Speers aus dem Spandauer Gefängnis.
1969
Erscheinung von Albert Speers Buch "Erinnerungen".
1981
Tod Albert Speers.
1992
"Tiefgang/Bildräume im Schlossbunker" - eine Ausstellung von Roland Scotti und Jan Winkelmann im Tiefbunker des kurfürstlichen Residenzschlosses in Mannheim.


VI Anmerkungen


footnote1)"Hitler liebte es, zu erklären, dass er baue, um seine Zeit und ihren Geist der Nachwelt zu überliefern. Letztlich würden an die grossen Epochen der Geschichte doch nur noch deren monumentale Bauwerke erinnern, meinte er. Was sei denn von den Imperatoren des römischen Weltreiches geblieben? Was würde für sie heute noch zeugen, wenn nicht ihre Bauten? In der Geschichte eines Volkes gäbe es immer wieder Schwächeperioden; dann aber würden die Bauwerke von der einstigen Macht zu sprechen beginnen. Natürlich sei ein neues Nationalbewusstsein nicht dadurch allein zu erwecken. Aber wenn nach einer langen Periode des Niedergangs der Sinn für nationale Grösse erneut entzündet würde, dann seien jene Denkmäler der Vorfahren die eindrücklichsten Mahner."
Albert Speer (1982), Erinnerungen, Frankfurt/M - Berlin - Wien,S.68.
footnote2)Troost war in einer Gruppe von Architekten, die einen ornamentlosen, spartanischen Traditionalismus verfolgten; Walter Gropius gehörte ebenfalls dieser Architektengruppe an.
footnote3)"Mit dem Bau des Zeppelinfeldes wurde unverzüglich begonnen, um wenigstens die Tribüne bis zum kommenden Parteitag fertigzustellen. Dieser musste das Nürnberger Strassenbahndepot weichen. Als es gesprengt war, kam ich an dem Gewirr der zerstörten Eisenbetonkonstruktion vorbei; die Eiseneinlagen hingen heraus und hatten zu rosten begonnen. Ihr weiterer Verfall war leicht vorstellbar. Dieser trostlose Anblick gab den Anstoss zu einer Überlegung, die ich später unter dem etwas anspruchsvollen Namen "Theorie vom Ruinenwert" eines Baues Hitler vortrug. Modern konstruierte Bauwerke, das war ihr Ausgangspunkt, waren zweifellos wenig geeignet, die von Hitler verlangte "Traditionsbrücke" zu zukünftigen Generationen zu bilden: undenkbar, dass rostende Trümmerhaufen jene heroischen Inspirationen vermittelten,die Hitler an den Monumenten der Vergangenheit bewunderte. Diesem Dilemma sollte meine "Theorie" entgegenwirken: die Verwendung besonderer Materialien sowie die Berücksichtigung besonderer statischer Überlegungen sollten Bauten ermöglichen, die im Verfallszustand, nach Hunderten oder (so rechneten wir) Tausenden von Jahren etwa den römischen Vorbildern gleichen würden. Wir wollten, um diesen Zweck zu erreichen, möglichst auf alle der Verwitterung ausgesetzten modernen Konstruktionselemente des Stahlbaus und des Stahlbetons verzichten; die Mauern sollten unter Vernachlässigung der aussteifenden Dächer und Decken dem erheblichen Winddruck auch bei grosser Höhe standhalten. Sie wurden danach statisch berechnet.
Zur Veranschaulichung meiner Gedanken liess ich eine romantische Zeichnung anfertigen: sie stellte dar, wie die Tribüne des Zeppelinfeldes nach Generationen der Vernachlässigung aussehen würde, überwuchert mit Efeu, mit eingestürzten Pfeilern, das Mauerwerk hie und da zusammengefallen, aber in den grossen Umrissen noch deutlich erkennbar. In Hitlers Umgebung wurde diese Zeichnung als "Blasphemie" angesehen. Allein die Vorstellung, dass ich für das soeben gegründete tausendjährige Reich eine Periode des Niederganges einkalkuliert hatte, schien vielen unerhört. Hitler jedoch fand die Überlegung einleuchtend und logisch; er ordnete an, dass in Zukunft die wichtigsten Bauten seines Reiches nach diesem "Ruinengesetz" zu errichten seien."
Albert Speer (1982), Erinnerungen, A.a.O.,S.68ff und Anmerkungen.
footnote4)ebd., S.71ff.
footnote5)Sir Nevile Henderson (1940), "Failure Of A Mission".
footnote6)Chimäre: Trugbild, Hirngespinst
footnote7)Albert Speer (1975), Spandauer Tagebücher, Frankfurt/M - Berlin -Wien, S.636.
footnote8)Paul Virilio (1989), Die Sehmaschine, Berlin, S.36.
footnote9)Berthold Hinz (1974), Die Malerei im deutschen Nationalsozialismus, Kunst und Konterrevolution, München, S. 131.
footnote10)ebd., S.132.
footnote11)
"Da sprach ich zu dem persifand:
Sag an! wie ist die stat genannt,
Die unten liegt an diesem berg?
Er sprach: sie heisset Nürnberg.
Ich sprach: wer wondt in dieser stat,
Die so unbezahlbar heuser hat?
Er sprach: Inn der stat umb und umb
Des volckes ist on zal und sumb
Ein embsig volck, reich und sehr mechtig
Gescheyd, geschicket und fürtrechtig..."
Hans Sachs (1530)
footnote12)"Wenn man diese ruhmvolle Stadt in der Ferne liegen sieht, scheint ihr Glanz wahrhaft majestätisch. Betritt man sie, so wird der erste Eindruck durch die Schönheit der Strassen und die Pracht der Häuser bestätigt. Stolz thront die Kaiserburg über der Stadt, und die Wohnhäuser der Bürger scheinen für Fürsten gebaut zu sein. Wahrhaftig, die Könige von Schottland wären glücklich, wenn sie so prächtig wohnen könnten wie ein gewöhnlicher Nürnberger Bürger."
Aeneas Silvius Piccolomini, Papst Pius II
footnote13)Albert Speer (1982), Erinnerungen, A.a.O., S.75.
footnote14)ebd., S.63.
footnote15)edb., S.162.
footnote16)Eklektizismus: Philosophie, die aus verschiedenen philosophischen Systemen das ihr passende auswählt und unschöpferisch zu einer eigenen Geisteshaltung verarbeitet. Paul Virilio bezeichnet Albert Speer deshalb auch als "einen Architekten vergangener Zeiten."
footnote17)Albert Speer (1982), Erinnerungen, A.a.O., S.197.
footnote18)Jede deutsche Stadt bekam die Auflage, eine Kolonialstadt in den besetzten Gebieten in Polen und der Sowjetunion zu gründen und aufzubauen.
footnote19)Paul Virilio (1982), Bunkerarchäologie, München, S.56.
footnote20)In seiner Verteidigungsrede vor dem Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg 1946 äusserte sich Albert Speer zum Verhältnis von Diktatur und Technik: "Die Diktatur Hitlers war die erste Diktatur eines Industriestaates dieser Zeit moderner Technik, eine Diktatur, die sich zur Beherrschung des eigenen Volkes der technischen Mittel in vollkommener Weise bediente... Durch die Mittel der Technik, wie Rundfunk und Lautsprecher, konnten achtzig Millionen Menschen dem Willen eines Einzelnen hörig gemacht werden. Telefon, Fernschreiber und Funk ermöglichten, Befehle höchster Instanzen unmittelbar bis in die untersten Gliederungen weiterzuleiten, wo sie wegen ihrer Autorität kritiklos durchgeführt wurden. Zahlreiche Dienststellen und Kommandos erhielten so direkt ihre unheimlichen Befehle. Sie ermöglichten eine weit verzweigte Überwachung der Staatsbürger und den hohen Grad der Geheimhaltung verbrecherischer Vorgänge."
Albert Speer (1982), Erinnerungen; A.a.O., S.525.
Zum Verhältnis von Krieg und Technik äusserte sich Speer folgendermassen: "Wir leben in keinem erdbebensicheren Bau. Die komplizierte Apparatur der modernen Welt kann sich, durch negative Impulse, die sich gegenseitig steigern, unaufhaltsam zersetzen. Kein Wille könnte diesen Prozess aufhalten, wenn der Automatismus des Fortschritts zu einer weiteren Stufe in der Entpersönlichung des Menschen führte, ihm immer mehr die Selbstverantwortung entzöge. Entscheidende Jahre meines Lebens habe ich der Technik gedient, geblendet von ihren Möglichkeiten. Am Ende, ihr gegenüber, steht Skepsis." ebd.,S.525.
footnote21)vgl. dazu in Paul Virilios Buch "Der negative Horizont" (1989), München, S. 14 - 19 die Einleitung "Das Abenteuer der Erscheinungen": Virilio beschreibt dort eine ähnliche Sehmethode, das Sehen von Anti- bzw. Negativformen, die, bei entsprechender Konzentration, durch das Ausschneiden der Zwischenräume zwischen real existierenden Gegenständen entstehen, d.h. es erscheinen völlig neue Bilder in den Zwischenräumen schon existierender Gebilde.
footnote22)vgl. zur kryptischen Architektur der Etrusker http://www.hfg-karlsruhe.de/users/fwinkler/Netz/Etrusker.html
footnote23)Paul Virilio (1982), Bunkerarchäologie, A.a.O., S.11.
footnote24)"Die Bunker der europäischen Küste sind von Anfang an Grabsteine des deutschen Traums."
ebd., S.29.
footnote25)Der Einsteinturm von Erich Mendelsohn, vgl. dazu Paul Virilios Buch "Das irreale Monument" (1992), Berlin, S. 7 - 39 und http://www.hfg-karlsruhe.de/users/fwinkler/Netz/Einstein.html
footnote26)Paul Virilio (1982), Bunkerarchäologie, A.a.O., S.21.
footnote27)ebd., S. 202.
footnote28)ebd., S.22 und Paul Virilio und Sylvère Lotringer (1984),Der reine Krieg , Berlin, S. 139.
Paul Virilio: "...ein Krieg, der in seiner wissenschaftlichen und technischen Vorbereitung besteht."
Sylvère Lotringer: "Der Friede als Krieg."
Paul Virilio: "Der Friede als Krieg, als endlose Vorbereitung, wodurch die Gesellschaften ausgezehrt und möglicherweise ausgeschaltet werden. Dann hätten wir die Apokalypse."
footnote29)Paul Virilio (1982), Bunkerarchäologie, A.a.O., S.28.
footnote30)ebd., S.49 ff.
footnote31)benannt nach dem Leiter der Organisation Todt, Dr. Fritz Todt, der für den Aufbau des Atlantikwalls verantwortlich war und dessen Posten Albert Speer nach seinem Tod besetzte.
footnote32)Zur gleichen Zeit wird ein Schlachtpanzer in der Grössenordnung eines Hauses gebaut. Paul Virilio nennt diesen Vorgang der allmählichen Verschmelzung zweier Gegenstände wie z. B. Haus und Vehikel "Hybridisation".
Paul Virilio (1982), Bunkerarchäologie, A.a.O., S.41.
footnote33)Wie knapp die Versorgung mit Stahl damals tatsächlich war, zeigt ein Plan Görings am Ende des Krieges, der vorschlug, Lokomotiven anstelle aus Stahl einfach aus Beton zu giessen (ein Plan dessen Verwirklichung abwegig und unrealistisch zugleich war).
footnote34)Titel des Ausstellungskataloges "Tiefgang, Bildräume im Schlossbunker" von Roland Scotti und Jan Winkelmann (1992), Mannheim.
footnote35)ebd.S.5
footnote36)"Da es keine Fenster gab verfügten diese kollektiven Schutzräume über ein elektrisches Belüftungssystem, um jedoch Energie zu sparen, waren die Innenwände mit einem phosphoreszierenden Putz überzogen."
Paul Virilio (1982), Bunkerarchäologie, A.a.O, S.211.
footnote37)vgl. dazu die Ausstellung "Almost invisible / fast nichts" von Jan Winkelmann (Kurator), die im Juli und August 1996 im alten Umspannwerk in Singen / Htwl. Arbeiten von Peter Fischli und David Weiss,Tobias Rehberger, u.a. zeigte. Im Internet unter: http://blitzreview.thing.at/blitzreview/b-242.html
footnote38)vgl. die Aktion "Celtic + ~" am 5. April 1971 von Joseph Beuys in den Zivilschutzräumen beim Stadion St. Jakob in Basel: Beuys begann diese Aktion mit der Fusswaschung an sieben Personen. Die Handlung besass Symbolcharakter, sie war ein Aufruf, gleiches zu tun, nach dem Grundsatz christlicher Nächstenliebe. Beuys griff das soziale Hauptgesetz "Arbeite für andere" auf. Die Fusswaschung bedeutete also in dieser Aktion direkt die Arbeit am anderen und für den anderen Menschen. Sie steht mit diesem alten Bild im Gegensatz zur Kriegsarchitektur der Zivilschutzräume, Bauwerke, die in Zeiten des Krieges entstanden sind.